Siegelung im Strafprozess - Durchsuchung von Aufzeichnungen verhindern

Siegelung im Strafprozess

Durchsuchung von Aufzeichnungen verhindern

Michèle Trebo
von Michèle Trebo
am 16. Dezember 2021
Lesezeit: 7 Minuten

Keypoints

So funktioniert Siegelung im Strafprozess

  • Die Polizei führt auf Befehl der Staatsanwaltschaft Durchsuchungen durch
  • Sie ist berechtigt, Durchsuchungen ohne Befehl der Staatsanwaltschaft durchzuführen, wenn Gefahr im Verzug vorliegt
  • Bei einer Durchsuchung ist die inhabende Person berechtigt, den Strafbehörden das Einsehen und Verwenden ihrer Gegenstände und/oder Aufzeichnungen zu verweigern, indem sie die Siegelung verlangt
  • Die Siegelung kann auf Antrag der Staatsanwaltschaft durch das Zwangsmassnahmengericht aufgehoben werden

In Nachschlagewerken wird die Siegelung oft als Prozess definiert, bei dem eine Sache mit einem Siegel versehen wird, hat allerdings, wie der nachfolgende Abschnitt zeigt, im Sinne der Strafprozessordnung eine sinnbildliche Bedeutung. Vermuten die Strafbehörden eine zu ergreifende Person und/oder Beweismittel, ordnet die Staatsanwaltschaft schriftlich eine Durchsuchung an. Diesem Durchsuchungsbefehl gehen meist, wie im Flussdiagramm dargestellt, entweder eine polizeiliche Anhaltung oder polizeiliche Ermittlungen, unter anderem aufgrund einer Anzeige voran.

Die Siegelung als Sofortmassnahme garantiert, dass die Strafbehörden sichergestellte Gegenstände und/oder Aufzeichnungen weder einsehen noch verwenden. Wie es genau zur Siegelung kommt und wie sie aufgehoben werden kann, wird in den nachfolgenden Abschnitten erörtert.

Polizeiliche Anhaltung

Die Polizei ist im Rahmen der polizeilichen Anhaltung berechtigt, ohne Anordnung bzw. ohne Durchsuchungsbefehl der Staatsanwaltschaft, eine Person anzuhalten, ihre Identität festzustellen, sie kurz zu befragen, abzuklären, ob sie eine Straftat begangen hat und ob nach ihr oder nach Gegenständen, die sich in ihrem Gewahrsam befinden, gefahndet wird und darf sie wenn nötig auf die Polizeistation mitnehmen. Die angehaltene Person ist verpflichtet, ihre Personalien anzugeben, Ausweispapiere vorzulegen, mitgeführte Sachen vorzuzeigen sowie Behältnisse oder Fahrzeuge zu öffnen.

Ablauf der Siegelung

Durchsuchung

Die Strafprozessordnung sieht unterschiedliche Arten von Durchsuchungen vor. Dabei unterscheidet sie zwischen Hausdurchsuchungen, Durchsuchungen von Aufzeichnungen und Durchsuchungen von Personen und Gegenständen. Damit die Polizei Durchsuchungen durchführen darf, braucht sie grundsätzlich einen schriftlichen Durchsuchungsbefehl der Staatsanwaltschaft. Wie in den nachfolgenden Praxisbeispielen beschrieben, gibt es allerdings Ausnahmen.

Durchsuchung mit Durchsuchungsbefehl

Ein Elektronikgeschäft stellt fest, dass seit Kurzem vermehrt Verkaufsmaterial verschwindet und schaltet die Polizei ein. Auf einer der Überwachungsaufnahmen ist zu sehen, wie eine angestellte Person eine Spiegelreflexkamera aus dem Regal nimmt und damit zur Umkleide der Mitarbeitenden geht. Kurz darauf ist erkennbar, dass die Person ohne die Spiegelreflexkamera die Umkleide wieder verlässt. Nach Prüfung des Schichtplans stellt die Polizei fest, dass die Schichten dieser angestellten Person mit dem Verschwinden des Verkaufsmaterials übereinstimmen. Daraufhin nimmt die Polizei mit der zuständigen Staatsanwaltschaft Kontakt auf und bittet um einen Durchsuchungsbefehl. Sie vermutet am Wohnort, auf elektronischen Geräten und im Garderobenschrank der beschuldigten Person Beweismittel. Da nur die Geschäftsleitung des Elektronikgeschäfts und die Polizei über die Ermittlungen Bescheid wissen, somit also keine Gefahr im Verzug vorliegt, wartet die Polizei den schriftlichen Durchsuchungsbefehl der Staatsanwaltschaft ab und plant anschliessend die Durchsuchungen.

Findet die Polizei beim Anhalten einer Person in dessen Tasche mehrere kleine Mini-Grip-Säckchen mit weissem Pulverinhalt, eine hohe Summe Bargeld und mehrere Mobiltelefone, so stellt sie die Sachen aufgrund des Verdachts auf Verstoss gegen das Betäubungsmittelgesetz sicher und nimmt die beschuldigte Person mit auf die Polizeistation. Da die Polizei weitere Beweismittel in der Wohnung der beschuldigten Person vermutet, bittet sie die Staatsanwaltschaft um einen Durchsuchungsbefehl. Da die Gefahr besteht, dass eine mögliche Mittäterschaft bereits von der Verhaftung der beschuldigten Person erfahren hat und so Beweismittel gefährdet sind, erteilt die Staatsanwaltschaft der Polizei einen mündlichen Durchsuchungsbefehl und reicht diesen in schriftlicher Form nach. Damit kann die Polizei unmittelbar nach der Verhaftung der beschuldigten Person dessen Räume durchsuchen ohne, dass sie den schriftlichen Durchsuchungsbefehl der Staatsanwaltschaft abwarten muss.

Durchsuchung ohne Durchsuchungsbefehl

Eine Frau wählt um zwei Uhr morgens den Notruf der Polizei und meldet, dass ihre vierjährige Tochter nicht mehr in ihrem Bett liege. Sie mache sich grosse Sorgen, da ihr gewalttätiger Mann und sie am Abend zuvor eine heftige Auseinandersetzung bezüglich des Sorgerechts der Tochter hatten und er gedroht habe, ihr die Tochter wegzunehmen. Er habe gesagt, dass er sich mit ihr ins Ausland abzusetzen wolle. Ihr Mann und sie seien getrennt und er lebe unterdessen in einer Wohnung etwa eine Stunde von ihr entfernt. Er habe aber noch den Schlüssel ihrer Wohnung. Während eine Polizeipatrouille sich auf den Weg zum Wohnort der Mutter macht, fährt die zweite Patrouille an den neuen Wohnort des Vaters des Kindes. Bei dessen Wohnung angekommen, öffnet niemand die Tür. Plötzlich hört die Polizeipatrouille ein weinendes Kind. Da dieses Weinen aus der Wohnung des Verdächtigen zu kommen scheint und er für seine Gewaltbereitschaft bereits bekannt ist, entscheiden sich die Polizeifunktionäre, die Wohnungstüre einzutreten. Da in diesem Fall das vierjährige Kind in Gefahr sein könnte, somit also Gefahr im Verzug vorliegt, darf die Polizeipatrouille ohne Durchsuchungsbefehl die Wohnung betreten. Sie informiert die Staatsanwaltschaft unverzüglich, nachdem sie die Lage unter Kontrolle gebracht hat.

Triage

Findet die Polizei bei einer Durchsuchung Gegenstände und/oder Aufzeichnungen, die als Beweismittel in einem Strafverfahren von Bedeutung sein könnten, stellt sie diese sicher. Es reicht für eine Sicherstellung aus, wenn unter anderem auf einem Datenträger, der vor Ort nicht gesichtet werden kann, Beweismittel vermutet werden. Gegenstände und/oder Aufzeichnungen, die klar als Beweismittel ausgeschlossen werden können, werden der Person belassen.

Siegelung

Möchte eine Person nicht, dass ihre sichergestellten Gegenstände und/oder Aufzeichnungen beschlagnahmt und gesichtet werden, so kann sie die Siegelung verlangen. In diesem Fall nimmt die Polizei zwar die Sicherstellungen mit, darf sie aber nicht auswerten. Die Staatsanwaltschaft hat 20 Tage Zeit zu entscheiden, ob sie beim Zwangsmassnahmengericht ein Gesuch auf Entsiegelung stellen will. Da die Sicherstellungen der Polizei aber meist für das Strafverfahren relevante Spuren enthalten, entscheidet sich die Staatsanwaltschaft in den häufigsten Fällen für den Entsiegelungsantrag. Sollte es aber trotzdem vorkommen, dass die Staatsanwaltschaft keinen Antrag auf Entsiegelung stellt, so werden die Sicherstellungen der Person zurückgegeben. Stellt die Person keinen Antrag auf Siegelung, so werden die Sicherstellungen ausgewertet. Je nachdem, ob sich herausstellt, dass die Sicherstellungen für den Strafprozess relevant sind oder nicht, werden sie beschlagnahmt oder zurückgegeben.

Antragsentscheid

Entscheidet sich das Zwangsmassnahmengericht für die Entsiegelung, so werden die Sicherstellungen ausgewertet und entweder beschlagnahmt oder der Person zurückgegeben. Lehnt das Zwangsmassnahmengericht den Entsiegelungsantrag der Staatsanwaltschaft ab, so kann ein Beschwerdeverfahren einleitet werden.

Zusammenfassung

Vermutet die Strafbehörde eine zu ergreifende Person und/oder Beweismittel, hat sie das Recht, Durchsuchungen durchzuführen und Beweismittel sicherzustellen. Die Person, die das Eigentum an den sichergestellten Sachen besitzt, kann die Siegelung verlangen, möchte sie verhindern, dass die Strafbehörden die Gegenstände und/oder Aufzeichnungen auswerten. Die Siegelung kann auf Antrag der Staatsanwaltschaft durch das Zwangsmassnahmengericht aufgehoben und die Beweismittel zur Auswertung freigegeben werden.

Über die Autorin

Michèle Trebo

Michèle Trebo hat einen Bachelor in Informatik an der ZHAW abgeschlossen und war sechs Jahre lang als Polizistin, unter anderem zur Aufklärung und Auswertung von Cybercrime, tätig. Sie zeichnet sich im Bereich Forschung für kriminalistische Themen wie Darknet, Cyber Threat Intelligence, Ermittlungen und Forensik verantwortlich. (ORCID 0000-0002-6968-8785)

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