Brain before post - Verantwortungsvoller Umgang mit Kindermedien im Netz

Brain before post

Verantwortungsvoller Umgang mit Kindermedien im Netz

Michèle Trebo
von Michèle Trebo
am 09. Mai 2024
Lesezeit: 12 Minuten

Keypoints

Erst denken, dann bleibenlassen!

  • Wahren der digitalen Privatsphäre von Kindern
  • Recht am eigenen Bild: NEIN ist NEIN, auch wenn Kinder es sagen
  • Bewusstsein für Risiken wie Kontrollverlust, missbräuchliche Verwendung beispielsweise im Kontext der Pädophilie, Cybermobbing, Sextortion, Cybergrooming usw.
  • Meist steht hinter dem Veröffentlichen von Kindermedien ein narzisstisches Motiv
  • Ernstzunehmende rechtliche Konsequenzen

Die moderne Elternschaft ist untrennbar mit der Technologie verbunden. Die digitale Integration hat nicht nur das Wesen des Elternseins transformiert, sondern auch mit der Einführung der sozialen Medien eine zusätzliche Facette in das Familienleben gebracht. Noch bevor ein Kind das Licht der Welt erblickt, prägen Eltern bereits seinen digitalen Fussabdruck – angefangen bei der Veröffentlichung des ersten Ultraschallbildes in sozialen Netzwerken. In der Welt der Likes und Shares ist es zum Schutz des Kindeswohls wichtig, sich der Risiken bewusst zu sein und entsprechend zu handeln.

(Over-)Sharenting

Der Begriff Sharenting setzt sich aus den englischen Begriffen share (teilen) und parenting (Elternschaft) zusammen und beschreibt das Phänomen, wenn Eltern Medien, darunter Fotos und Videos, auf denen ihre Kinder zu sehen sind, online teilen. Veröffentlichen Eltern übermässig viele Details aus dem Leben ihrer Kinder, spricht man von Oversharenting. Sharenting kann den Familienzusammenhalt fördern, Erinnerungen festhalten, Stolz zum Ausdruck bringen oder dazu beitragen, Online-Gemeinschaften zu bilden (nicht abschliessend). Allerdings birgt es auch oft vernachlässigte und unterschätzte Risiken, auf die sich dieser Artikel konzentriert. Ein Beispiel dafür ist eine Mom-Fluenzerin, die scheinbar die Publicity und das Geld über das Wohl ihrer Kinder stellt. In der SRF-Reportage Kinderfotos auf Social Media sagt sie ausdrücklich und es wird zitiert “Ich will nur Gäld verdiene mit chlini Chindä, ja und…welli Mami möchti nid di Hei chöne schaffe und echli Geld verdiene.”

Rechtliche Aspekte

In der Schweiz ist es grundsätzlich erlaubt, Medien wie Fotos oder Videos von Kindern zu teilen, allerdings gilt das Recht am eigenen Bild. Jede Person hat ein Recht am eigenen Bild und kann in der Regel darüber entscheiden, ob und in welcher Form Medien, auf denen sie abgebildet ist, aufgenommen und veröffentlicht werden dürfen, so auch Kinder. Bereits Vierjährige können kommunizieren, ob sie aufgenommen werden möchten und ob ihnen ein Medium gefällt. Ihr Entscheid ist zu respektieren. Bilder sind datenschutzrechtlich relevant, sobald Personen darauf erkennbar sind, einschliesslich auf Gruppenfotos, wenn die Identifikation von Einzelnen möglich ist. Inwiefern das zutrifft, wird im Einzelfall beurteilt. Eine Einwilligung der abgebildeten Personen ist erforderlich, wenn keine anderweitige Rechtfertigung vorliegt. Ausnahmen bestehen bei überwiegendem öffentlichem oder privatem Interesse wie beispielsweise bei Berichterstattungen über signifikante Ereignisse. Für die Verwendung von Archivbildern muss die Identität der Abgebildeten festgestellt und deren Zustimmung eingeholt werden. Die Einwilligung muss auf angemessener Information basieren und freiwillig erfolgen. Bei Gruppenfotos reicht ein allgemeiner Hinweis, wohingegen bei Einzelaufnahmen eine individuelle Zustimmung nach Einsicht der Bilder erforderlich ist. Bei öffentlichen Aufnahmen gilt die Aufnahme von Passanten als Beiwerk, solange die Möglichkeit besteht, auf Verlangen die Bilder zu löschen oder deren Veröffentlichung zu unterlassen. Am 16.11.2022 nahm der Bundesrat Stellung zu einem eingereichten Text, der das Recht der Kinder auf Privatsphäre und den Schutz ihrer Persönlichkeitsrechte behandelt, die häufig durch die Handlungen von Eltern und Erziehungsberechtigten verletzt werden. Gemäss diesem Text seien sich Eltern oft nicht bewusst, dass Handlungen wie Sharenting die Privatsphäre ihrer Kinder beeinträchtigen können. Die Plattform Jugend und Medien biete Informationen zu diesem Thema, doch es gebe Bedenken, dass diese Informationen nicht ausreichend verbreitet werden und Kinderrechte weiterhin nicht genug beachtet würden. Der Bundesrat hält in seiner Stellungnahme fest, dass die bestehenden gesetzlichen Grundlagen einschliesslich der Bundesverfassung und des Zivilgesetzbuches, ausreichend seien, um die Persönlichkeitsrechte und Privatsphäre von Kindern zu schützen. Eltern hätten eine rechtliche Verpflichtung, das Wohl ihrer Kinder zu wahren, und die Kindesschutzbehörde könne eingreifen, wenn die Grenzen überschritten würden. Erziehungsberechtigte seien bereits ausreichend durch die Beteiligung verschiedener Organisationen und Initiativen auf Bundesebene wie Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragte und Kinderschutzorganisationen für den Schutz der Privatsphäre ihrer Kinder sensibilisiert. Der Bundesrat betrachte eine Erweiterung der Plattform Jugend und Medien oder die Einführung einer neuen Kampagne zur Sensibilisierung von Erwachsenen als nicht notwendig, da bereits zahlreiche Ressourcen und Initiativen in diesem Bereich bestünden.

Rechtliche Konsequenzen

Die rechtlichen Konsequenzen einer unbefugten Veröffentlichung von Kindermedien können ernsthaft sein. Werden solche Medien ohne erforderliche Zustimmung geteilt, kann dies zu Schadensersatzklagen führen. In einigen Ländern drohen zudem Geld- oder sogar Freiheitsstrafen. In besonders schweren Fällen, wenn das Teilen der Medien als Teil von Missbrauch oder Vernachlässigung gewertet wird, kann Eltern das Sorgerecht entzogen werden. Es gibt einige Fälle in der Schweiz, in denen die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (KESB) eingegriffen hat, nachdem festgestellt wurde, dass Eltern unsorgfältig und egoistisch mit dem Datenschutz im Netz umgegangen sind. Die unvorsichtige Veröffentlichung von sensiblen Daten oder Medien im Netz kann ein Indiz dafür sein, dass das Wohlergehen des Kindes nicht ausreichend geschützt wird. Solche Vorfälle führen oft dazu, dass die KESB das familiäre Umfeld genauer unter die Lupe nimmt, um sicherzustellen, dass die Kinder in einem sicheren und förderlichen Umfeld aufwachsen. Datenschutzverletzungen können dabei als Teil eines breiteren Musters von Nachlässigkeit oder Unverantwortlichkeit betrachtet werden. Eine 18-jährige Frau aus Kärnten in Österreich verklagte ihre Eltern, weil diese 2009 ohne ihre Zustimmung Fotos von ihr auf Facebook veröffentlicht haben. Die Eltern weigerten sich, die rund 500 Fotos zu entfernen, woraufhin die Frau nach Erreichen der Volljährigkeit rechtliche Schritte einleitete. Ihr Vater beharrt darauf, dass er als Urheber der Fotos das Recht habe, diese zu veröffentlichen. Nach dem Datenschutzrecht droht den Eltern eine Strafe bis zu 10’000 Euro. In Frankreich beispielsweise gibt es kein spezifisches Verbot gegen das Veröffentlichen von Kindermedien. Allerdings haben Kinder, sobald sie volljährig sind, das Recht, ihre Eltern wegen Verletzung der Privatsphäre zu verklagen. In einem solchen Rechtsfall könnten Strafen von bis zu 50’000 Franken oder sogar ein Jahr Gefängnis drohen.

Gefahren

Sharenting kann erhebliche Gefahren bergen. Eine Umfrage des SRF (Schweizer Radio und Fernsehen) zeigt, dass viele Eltern sich der Risiken bewusst sind, dennoch werden diese oft unterschätzt. Eltern geben durch das Teilen von Medien und Details aus dem Alltag ihrer Kinder die Kontrolle über diese Medien und Informationen weitgehend ab. Eines der schwerwiegendsten Risiken ist die Verwendung von auch harmlos erscheinenden Bildern oder Videos für unangemessene Zwecke einschliesslich Pädophilie. Medien können in diesem Kontext missbraucht werden, indem sie etwa gezielt mithilfe spezieller Tools nach spezifischen Merkmalen (zum Beispiel “Junge, blond”) durchsucht und weiterverbreitet werden. Eltern, die solche Medien online stellen, liefern unwissentlich Material, das in kriminellen Kreisen Verwendung finden kann. Darüber hinaus besteht die Gefahr des Cybermobbings, wenn persönliche Informationen oder peinliche Medien eines Kindes von Gleichaltrigen zum Anlass genommen werden, das betreffende Kind zu hänseln oder zu schikanieren. Sextortion, die Erpressung mit echten oder manipulierten Medien, ist eine weitere Bedrohung, die aus dem sorglosen Umgang mit digitalen Medien entstehen kann. Ein weiteres Risiko ist das Cybergrooming. Öffentlich zugängliche Medien, wie etwa Vereinsfotos eines Fussballklubs, die nicht nur für Vereinsmitglieder zugänglich sind und oft Informationen wie Trainingszeiten und -orte enthalten, können von Kriminellen als Katalog zum Aussuchen von Kindern missbraucht werden. Obwohl dies laut SRF selten vorkommt, stellt es eine ernst zu nehmende Bedrohung dar. Die fortschreitende Entwicklung von künstlicher Intelligenz (KI) verschärft diese Problematik. Mit Hilfe von KI können aus Bildern Kontexte erzeugt werden, die das Kind in Situationen zeigen, die niemals stattgefunden haben. Dies kann das Ansehen des Kindes schädigen und hat langfristige Folgen für seine digitale Identität. Auch in kommunikativen Plattformen wie WhatsApp, wo Medien und Nachrichten in Gruppenchats zum Beispiel von Familien geteilt werden, verlieren Eltern die Kontrolle über die Verbreitung der Medien ihrer Kinder. Diese können leicht weitergeleitet und ausserhalb des ursprünglich vorgesehenen Kontexts genutzt werden. Laut einer aktuellen Studie, an der 1600 Eltern teilnahmen, veröffentlicht die Hälfte der Befragten regelmässig Bilder ihrer Kinder im Internet, während die andere Hälfte dies nicht tut. Jeder zehnte befragte Elternteil teilt Bilder wöchentlich oder monatlich. Mehr als 20 % der Eltern mit Kindern, die älter als drei sind, fragen ihre Kinder nicht um Erlaubnis, bevor sie deren Bilder online stellen. Kinder selbst haben unterschiedliche Meinungen zum Sharenting: Einigen ist es gleichgültig, während es anderen unangenehm ist. Eine Schätzung besagt, dass ein 13-jähriges Kind durchschnittlich etwa 1300 Bilder von sich im Netz hat, was die Dimension der möglichen digitalen Exposition verdeutlicht.

Veröffentlichen – Ja oder nein?

Grundsätzlich wird davon abgeraten, Medien die Kinder abbilden, zu veröffentlichen. Wenn man trotzdem entsprechende Medien veröffentlichen möchte, sollte man sich zumindest die im Diagramm abgebildeten Gedanken machen und sich selbst kritisch hinterfragen.

Veröffentlichen - Ja oder nein?

Zunächst sollte man sich fragen, ob das Veröffentlichen der Medien im Sinne des Kindes ist oder doch eher der eigenen Verwirklichung dient. Meist steht hinter dem Veröffentlichen von Kindermedien ein narzisstisches Motiv. Ein weiterer wichtiger Punkt ist, das betroffene Kind unter Vorhalt der entsprechenden Medien zu fragen, ob es mit der Veröffentlichung einverstanden ist. Möchte das Kind nicht, dass die Medien veröffentlicht werden, ist diese Entscheidung zu respektieren. Wird mit der Veröffentlichung der Medien beispielsweise das Kindswohl gefährdet, befindet sich das Kind auf den Medien in einer intimen oder peinlichen Situation oder sind sensible Informationen ersichtlich, sollte auf die Publikation verzichtet werden. Wenn das Kind auf den Medien identifizierbar ist, kann die Gefahr reduziert werden, indem mindestens das Gesicht des Kindes unkenntlich gemacht wird.

Möglichkeiten, ein Kind unkenntlich zu machen

Es gibt zwei gängige Methoden, um ein Gesicht in einem Bild unkenntlich zu machen: Das Verpixeln und das Abdecken mit einem Emoji. Dabei ist jedoch Vorsicht geboten, denn diese Techniken sind nicht unfehlbar. Beide Methoden reduzieren die Menge der sichtbaren Daten und verursachen im Prinzip einen irreversiblen Datenverlust. Das bedeutet, dass die ursprünglichen Bildinformationen hinter der Verpixelung oder dem Emoji nicht mehr direkt zugänglich sind. Technisch ist es äusserst schwierig, eine Verpixelung vollständig rückgängig zu machen oder ein Emoji zu entfernen, um das darunterliegende Originalbild wiederherzustellen. Die vorhandenen Methoden zur Rekonstruktion basieren auf Interpolation oder der Schätzung von Informationen, was den Versuch darstellt, die fehlenden oder verdeckten Bildteile anhand der verfügbaren Daten zu rekonstruieren. Diese Verfahren können bestenfalls eine Annäherung an das Originalbild bieten, jedoch nicht das exakte Original reproduzieren. Je nach Qualität der Ausgangsbilder und der angewandten Technik kann dies allerdings ausreichen, um die Identität einer Person erkennbar zu machen.

Zusammenfassung

Sharenting hat sowohl positive Aspekte wie das Festhalten von Erinnerungen und das Bilden von Online-Gemeinschaften als auch zahlreiche Risiken. Zu den Gefahren gehören die mögliche Verwendung von Medien für unangemessene Zwecke wie Pädophilie, Cybermobbing und Cybergrooming. Viele Eltern ignorieren die Gefahren. In rechtlicher Hinsicht ist das Teilen von Medien, auf denen Kinder abgebildet sind, in der Schweiz erlaubt, solange das Recht am eigenen Bild beachtet wird. Dieses Recht erfordert die Einwilligung der abgebildeten Person, die bereits bei Kindern im Vorschulalter eingeholt werden kann und sollte. Die Verletzung der Privatsphäre kann rechtliche Konsequenzen nach sich ziehen, inklusive möglicher Klagen oder Strafen. Es empfiehlt sich, das Teilen von Bildern von Kindern grundsätzlich zu vermeiden oder zumindest sorgfältig zu überlegen, welche Medien veröffentlicht werden, wobei das Wohl des Kindes immer im Vordergrund stehen sollte. Die Nutzung von Techniken zur Unkenntlichmachung des Gesichts wie Verpixelung oder Abdeckung mit Emojis ist eine Möglichkeit, die Risiken zu minimieren, obwohl diese Techniken nicht garantieren, dass die ursprünglichen Daten nicht vollständig wiederhergestellt werden können. Generell gilt, Kindermedien gehören nicht ins Netz!

Über die Autorin

Michèle Trebo

Michèle Trebo hat einen Bachelor in Informatik an der ZHAW abgeschlossen und war sechs Jahre lang als Polizistin, unter anderem zur Aufklärung und Auswertung von Cybercrime, tätig. Sie zeichnet sich im Bereich Forschung für kriminalistische Themen wie Darknet, Cyber Threat Intelligence, Ermittlungen und Forensik verantwortlich. (ORCID 0000-0002-6968-8785)

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